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SCHRIFT   TEXTUR   ECRITURE  

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Nicht erst seit Nietzsche und Hofmannsthal werden Sprache und Schrift auf den Grund der Konvention, ja den Abgrund der Leere unter dem Sinnfundament ihrer Laute und Zeichen hin durchlässig. Die Rationalisierung der Schrift im Druck mit beweglichen Lettern und damit die Auflösung sogar des göttlichen Worts in ein Puzzle von Buchstaben und Silben lässt von nun an jeden Text auf die Setzkästen Gutenbergs hin transparent werden: Setzkästen, die erlauben, die Welt in eine unendlich verschiebbare Kombination von Worten und Gedanken zu übersetzen und aufzulösen. Dass diese Kombinatorik das Element des Schöpferischen, aber auch des Künstlichen jeder Sprache aufdeckt, unterhöhlt die Sinnbrücken von Schrift und Syntax, die die Kluft zwischen den Worten überspannen, und zeigt das Zufällige am Regelwerk der Sprache und ihrer schriftlichen Fixierung.

Sagbares, Unsagbares; Lesbares, Unlesbares: wo verläuft die Grenze? Im Unterschied zu rein kalligraphischen Arbeiten unternimmt meine Schrift-Malerei Randgänge in den Bereich von Schrift und Sinngebung, von Bedeutung und Nicht-Bedeutung und versteht sich darin als ein ästhetischer Exkurs zur neueren Philosophie der Schrift, zumal derjenigen Jacques Derridas. Lesbar-unlesbare Zeichensequenzen erzeugen über ihre Wechselwirkungen, ihre Überlagerungen, ihre Störungen und Leerstellen auf der flexiblen Grenzlinie zwischen Sinn und Nicht-Sinn eher ein Feld der Anspielungen und Andeutungen, der Brüche und Risse als eine sinnprägende Zuweisung nach Art logisch verketteter Wort- und Satzgefüge. Angesichts der Geschlossenheit von Seite und Satzspiegel in der ebenso geordneten wie kompakten Textur alphabetischer Schriften sprengt die Auflösung ihres Textgewebes das theologische Erbe der Schrift, ein Erbe, das Welt und Dingen im sinnhaften Fluss des Schreibens und Lesens ihren Ort zuweist und sei es durch Nichtzuweisung. Indem zumal die hypotaktisch organisierten Alphabetschriften grafisch-malerisch von einer Logik entbunden werden, deren Verständigungs- und Verständlichkeitsnormen gegen andere Ordnungen von Schrift und Sprache abschirmen, werden Schrift und Sprache auf die Rückseite ihrer gewohnten Textur im Weben und Knüpfen von Sinnspuren und logischen Knoten hin durchlässig. Im Aufbrechen einer Textlogik, die Folge und Folgerung, Sequenz und Konsequenz zur Deckung bringt, sollen Gewohnheit und Gewöhnung im Akt des Schreibens und Lesens auf das verdeckte Andere von Schrift und Sprache hin aufmerksam werden: auf das, was der Allianz von Schrift, Grammatik und Logik entgeht. Schließlich reguliert diese Allianz, was wahrgenommen und nicht wahrgenommen, was gedacht und nicht gedacht werden kann.

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(Das zuweilen inszenierte kalligraphische Moment meiner Schriftmalerei basiert immer auch auf seiner Störung. Stand die Eleganz der Schönschrift und des schönen Schreibens seit der Aufklärung für die buchstäbliche Erscheinungsform der Vernunft selbst, für die logische Konsequenz und Transparenz ihrer Gedankenarbeit und deren klar und unverstellt lesbare Kommunizierbarkeit, dann bringen die Kleckse, die macchia, das Ausfransen und Aufrauen, die Verschreibungen, Wortrupturen und Dichtestörungen des Schreibflusses meiner Belle-écriture-Bilder die Doppelbödigkeit dieses Vernunftideals zum Ausdruck: seine Schattenseiten, seine Ausschluss- und Abwehrformen, sein geistzentriertes Korrektiv gegenüber dem sinnlichen und emotionalen Duktus individueller Schreibgesten, das also, was Nietzsche als das "Vornehme" im "kanzleimäßig(en) Schreiben" kritisiert.

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