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Spuren / Chiffren

Im Spannungsfeld zwischen Abbild und Abbildlosigkeit verrätselt sich Malerei zu einem Tableau der Chiffren und schickt den deutenden Begriff auf eine unendliche Reise - adäquat einer philosophisch inspirierten Kunst im Namen dessen, was Kants Hellsichtigkeit für die Moderne unter einer "ästhetischen Idee" versteht: einer Idee also, die hinsichtlich der "Vorstellung der Einbildungskraft (…) viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann" (Kritik der Urteilskraft, § 49). Einer auf Realitätsorientierung ausgerichteten Wahrnehmung verwandelt sich in Irritation, was durch den Filter ihrer Bildwelten und Weltbilder fällt: insbesondere eine Malerei, die den anthropozentrischen Spiegel verabschiedet und den Blick auf eine Qualität der Erfahrung freigibt, die sich nicht mehr umstandslos auf den Menschen und seine Verfügungsdirektiven zurückrechnen lässt.

Wie Neue Musik löst sich auch die Malerei der Gegenwart vom metaphysischen Erbe. Wenn Metaphysik Welt und Universum an den Satz vom Grund bindet, an die Gründungs- und Begründungsmacht des "Nichts ist ohne Grund" - man denke auf dem Gebiet der Malerei an die Kausalitätsregie der Zentralperspektive -, dann treibt die Malerei der Avantgarde über ihre abbildfernen Tendenzen die Auflösung des "Satzes vom Grund" ins Innere der Struktur. Bildsinn und Bildlogik kündigen ihre im real erfahrbaren Bild der Welt gegründete Einheit auf. Mit der Verrückung gewohnter Weltbezüge aber relativiert sich auch das als unverrückbar geltende Realitätsprinzip zu einer Möglichkeit unter vielen.

Dem Drang des metaphysischen Denkens, für jedes Seiende ein "Warum" zu finden, allem auf den Grund zu gehen, um es kausal und methodisch zu verorten, wird das Grundlose als das Abgründige zunächst zur sinnlosen Leere. So auch im Bereich einer Malerei, die die Frage nach dem Boden der Tatsachen und dem identifizierbaren "Was" des Dargestellten unbekümmert lässt. Es ist, um mit Heidegger zu sprechen, dieser Wechsel vom Begründungs- zum Ereignisdiskurs, der den Übergang zur metaphysikkritischen Kunst der Gegenwart markiert.

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